Private Altersvorsorge im Unterhaltsrecht: Neue Anforderungen durch OLG München

July 31, 2025

Private Altersvorsorge im Unterhaltsrecht: Neue Anforderungen durch den Hinweisbeschluss des OLG München vom 08.10.2024 – 16 UF 324/24 e

Die private Altersvorsorge spielt eine immer wichtigere Rolle für die Sicherung des Lebensstandards im Alter. Im Unterhaltsrecht stellt sich dabei regelmäßig die Frage, inwieweit Aufwendungen für eine solche Vorsorge das unterhaltsrelevante Einkommen mindern können. Der aktuelle Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts München vom 08.10.2024 – 16 UF 324/24 e markiert hier potenziell eine Zäsur, insbesondere hinsichtlich der Anerkennung von Tagesgeldkonten als geeignete Anlageform. Dieser Artikel beleuchtet die konkrete Entscheidung des OLG München, ordnet sie in den bisherigen rechtlichen Kontext ein und zeigt die daraus resultierenden Herausforderungen für die Praxis auf.

I. Der Hinweisbeschluss des OLG München vom 08.10.2024 – 16 UF 324/24 e: Keine sekundäre Altersvorsorge durch Tagesgeldkonten

Das OLG München hatte in seinem Hinweisbeschluss vom 08.10.2024 – 16 UF 324/24 e über die unterhaltsrechtliche Berücksichtigung von Zahlungen auf ein Tagesgeldkonto zur zusätzlichen Altersvorsorge zu entscheiden.

Zusammenfassung der Entscheidung: Das OLG München hat klargestellt, dass regelmäßige Einzahlungen auf ein Tagesgeldkonto aufgrund des jederzeit möglichen Zugriffs auf das Kapital nicht als sekundäre Altersvorsorge anerkannt werden. Dies begründet das Gericht mit der Notwendigkeit, missbräuchlichen Einkommensgestaltungen zu begegnen. Für die Anerkennung einer sekundären Altersvorsorge beim Unterhaltspflichtigen sind demnach dieselben strengen Maßstäbe anzulegen wie für die Anlage des Vorsorgeunterhalts aufseiten des Berechtigten. Entscheidend sind die Zweckbindung und die fehlende jederzeitige Verfügbarkeit der Mittel.

1. Sachverhalt und Entscheidung

Im konkreten Fall stritten getrenntlebende Eheleute über Kindes- und Trennungsunterhalt. Der Unterhaltspflichtige machte unter anderem Aufwendungen für eine sekundäre Altersvorsorge in Form von regelmäßigen Einzahlungen auf ein Tagesgeldkonto geltend, um sein unterhaltsrelevantes Einkommen zu mindern.

Das OLG München lehnte die Anerkennung dieser Zahlungen als sekundäre Altersvorsorge ab. Begründend führte das Gericht aus, dass regelmäßige Überweisungen auf ein Tagesgeldkonto aufgrund des jederzeit möglichen Zugriffs auf das Kapital nicht als sekundäre Altersvorsorge anzuerkennen seien. Um einer missbräuchlichen Einkommensgestaltung zu begegnen, seien für die Anerkennung einer sekundären Altersvorsorge beim Unterhaltspflichtigen dieselben strengen Maßstäbe zugrunde zu legen wie für die Anlage des Vorsorgeunterhalts aufseiten des Berechtigten.

2. Begründung des Gerichts und zulässige Anlageformen

Die argumentative Linie des OLG München folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum sogenannten Altersvorsorgeunterhalt (§ 1578 Abs. 3 BGB). Hierfür hat der BGH strenge Kriterien entwickelt, wonach die Anlageform eine tatsächliche Altersvorsorge gewährleisten und der Zweckbindung dienen muss. Die jederzeitige Verfügbarkeit von Mitteln auf einem Tagesgeldkonto steht dieser Zweckbindung entgegen, da das Kapital jederzeit für andere Zwecke entnommen werden könnte. Es fehlt an einer echten und dauerhaften „Entnahme aus dem Vermögenskreis“ für die Altersvorsorge.

Das OLG München listet dabei explizit als zulässig anerkannte Anlageformen auf, die der Sicherung des Lebensstandards im Alter dienen:

  • Förderungsfähige Anlageformen im Sinne des § 82 EStG: Dazu zählen etwa Riester-Renten oder Rürup-Renten, die staatlich gefördert werden und einer strengen Zweckbindung unterliegen.
  • Nicht geförderte Renten- oder Kapitallebensversicherungen: Voraussetzung ist, dass der Leistungsfall zeitnah zu den Altersgrenzen der gesetzlichen Rentenversicherung eintritt und somit eine tatsächliche Absicherung im Alter erfolgt.
  • Tilgungsleistungen aufgrund einer Kreditaufnahme zum Erwerb bzw. zur Erstellung einer Wohnimmobilie: Dies betrifft Immobilien, die der Eigennutzung oder der Erzielung von Mieteinnahmen im Alter dienen. Die Tilgung muss hierbei als Vermögensbildung für das Alter nachvollziehbar sein.

II. Die bisherige Rechtsprechung und Handhabung: Grundsätze der Altersvorsorge im Unterhaltsrecht

Bislang hat die Rechtsprechung die private Altersvorsorge als notwendigen Abzugsposten bei der unterhaltsrechtlichen Einkommensermittlung anerkannt, um dem Unterhaltspflichtigen die Sicherung seines eigenen Lebensstandards im Alter zu ermöglichen.

1. Primäre und sekundäre Altersvorsorge als Abzugsposten

Grundsätzlich wird zwischen primärer und sekundärer (oder zusätzlicher) Altersvorsorge unterschieden:

  • Primäre Altersvorsorge: Hierzu zählen die gesetzliche Rentenversicherung, berufsständische Versorgungswerke (z. B. für Rechtsanwälte, Ärzte) oder die Beamtenversorgung. Die Beiträge hierfür werden in voller Höhe als einkommensmindernd anerkannt. Für Nichtselbstständige werden hierfür in der Regel etwa 19 % des Bruttoeinkommens angesetzt.
  • Sekundäre Altersvorsorge: Hierbei handelt es sich um zusätzliche private Vorsorgemaßnahmen. Die Familiengerichte haben erkannt, dass die primäre Vorsorge allein oft nicht ausreicht, um den gewohnten Lebensstandard im Alter aufrechtzuerhalten. Daher wird dem Unterhaltspflichtigen die Möglichkeit eingeräumt, einen weiteren Anteil seines Einkommens für eine zusätzliche Altersvorsorge als notwendige Eigenvorsorge abzuziehen.
2. Anerkannte Prozentsätze und Notwendigkeit der tatsächlichen Durchführung

Für die zusätzliche private Altersvorsorge werden in der Regel folgende Prozentsätze des Bruttoeinkommens als abzugsfähig anerkannt:

  • Bei Ehegatten- und Kindesunterhalt: Bis zu 4 % des Bruttoeinkommens, zusätzlich zur primären Vorsorge (ca. 19 %), sodass ein Gesamtvolumen von bis zu 23 % des Bruttoeinkommens für Altersvorsorgeabzüge in Betracht kommt.
  • Bei Elternunterhalt: Hier wird eine zusätzliche Altersvorsorge von bis zu 5 % des Bruttoeinkommens (Arbeitnehmer und Beamte) anerkannt, was ein Gesamtvolumen von bis zu 24 % des Bruttoeinkommens ergeben kann.
  • Bei Selbstständigen und Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze: Auch hier können bis zu 24 % des Bruttoeinkommens für Altersvorsorge aufgewendet werden (19 % primäre und 5 % zusätzliche Vorsorge), wobei Selbstständigen ein größerer Spielraum bei der Wahl der primären Vorsorge eingeräumt wird.

Ein entscheidender Grundsatz ist dabei stets die tatsächliche Durchführung der Vorsorge. Fiktive Abzüge sind nicht zulässig; die Mittel müssen nachweislich und regelmäßig in eine Vorsorgeform eingezahlt werden. Da die private Altersvorsorge – wohl gesellschaftlich anerkannt – eine notwendige Form der Eigenvorsorge für das Alter darstellt, ist für die unterhaltsrechtliche Anerkennung der Altersvorsorge nicht entscheidend, ob die Altersvorsorge schon vor der Trennung betrieben wurde; auch eine Aufnahme der Altersvorsorge erst nach der Trennung ist deshalb unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen.

3. Bisherige BGH-Rechtsprechung zur Anlageform

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in der Vergangenheit eine vergleichsweise liberale Haltung bezüglich der Wahl der Anlageformen für die sekundäre Altersvorsorge eingenommen. Insbesondere wurde in Aussicht gestellt, „auch Sparguthaben" als einkommensmindernde Anlageform zu berücksichtigen (BGH Urteil vom 22.11.2006 Aktenzeichen XII ZR 24/04).

Der BGH hatte dabei ein breites Spektrum von Anlageformen anerkannt:

  • Lebensversicherungen (auch Kapitallebensversicherungen)
  • Immobilien und Tilgungsleistungen zur Hausfinanzierung
  • Wertpapiere und Fondsbeteiligungen
  • Direktversicherungen
  • Sparguthaben – der BGH hatte ausdrücklich „in Aussicht gestellt, auch Sparguthaben als solche zu berücksichtigen"

Die Kernvorgabe war, dass die Zahlungen tatsächlich der Altersvorsorge dienten und „zweckgebunden" erfolgten, auch wenn die Mittel möglicherweise nicht gänzlich unerreichbar waren. Entscheidend war die erkennbare Absicht, Vermögen für das Alter anzusparen und nicht nur eine kurzfristige Liquidität zu schaffen.

III. Einordnung des Beschlusses und die daraus resultierende Rechtsunsicherheit für die Beratungspraxis

Der Hinweisbeschluss des OLG München wirft Fragen auf und könnte eine signifikante Verschärfung der Anforderungen an die private Altersvorsorge im Unterhaltsrecht bedeuten.

1. Abgrenzungsproblematik und Kritik am Gleichlauf

Die Entscheidung des OLG München, die Maßstäbe des Altersvorsorgeunterhalts (§ 1578 Abs. 3 BGB) auf die sekundäre Altersvorsorge des Unterhaltspflichtigen zu übertragen, ist aus rechtlicher Sicht kritisch zu beleuchten. Der Altersvorsorgeunterhalt dient dazu, dem Unterhaltsberechtigten eine eigene Altersvorsorge zu ermöglichen, wenn er aufgrund der Trennung oder Scheidung keine eigenen Beiträge mehr zur Altersvorsorge leisten kann. Die sekundäre Altersvorsorge des Unterhaltspflichtigen hingegen ist Teil seiner notwendigen Eigenvorsorge und dient der Sicherung des eigenen Lebensstandards im Alter, der dem Unterhalt in einem gewissen Rahmen vorgeht.

Kritiker bemängeln, dass diese Gleichsetzung die unterschiedlichen rechtlichen Zwecke der beiden Posten außer Acht lässt. Eine strenge Anforderung an die „Unverfügbarkeit" des Kapitals, wie sie für den Altersvorsorgeunterhalt gilt, mag für die Eigenvorsorge des Unterhaltspflichtigen zu restriktiv sein und die Vielfalt moderner Finanzprodukte sowie die Notwendigkeit flexibler Anlagestrategien ignorieren.

2. Verschärfte Anforderungen und der neue Bewertungsmaßstab: die „Versorgungsausgleichsfähigkeit"

Unabhängig von der Kritik signalisiert der Beschluss eine mögliche Trendwende hin zu deutlich strengeren Anforderungen an die Anerkennung von privater Altersvorsorge als Abzugsposten. Als Ihr Anwalt empfehle ich daher dringend, die eigene Altersvorsorgeplanung kritisch zu überprüfen.

Der Beschluss des OLG München legt nahe, dass die Gerichte zukünftig stärker darauf abstellen könnten, ob eine Anlageform als „versorgungsausgleichsfähiges Anrecht" im Sinne des Versorgungsausgleichsgesetzes (VersAusglG) anzusehen ist. Solche Anrechte sind durch Gesetz als echte Altersvorsorge anerkannt und weisen eine hohe Zweckbindung sowie geringe Verfügbarkeit vor dem Rentenalter auf.

Aus dieser Perspektive lassen sich die Anlageformen in Risikokategorien für die unterhaltsrechtliche Anerkennung einteilen:

Anlagen mit Null-Risiko für die Anerkennung (sehr wahrscheinlich anerkennungsfähig):

Hierzu zählen alle Anrechte, die auch im Versorgungsausgleich ausgeglichen werden:

  • Gesetzliche Rentenversicherung (freiwillige und Pflichtbeiträge)
  • Beamtenversorgung und beamtenähnliche Systeme
  • Berufsständische Versorgungswerke (Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten etc.)
  • Betriebliche Altersversorgung nach BetrAVG
  • Private Rentenversicherungen mit Rentenbeginn im Alter
  • Riester-geförderte Altersvorsorge (Riester-Rente, Riester-Fondssparpläne)
  • Basis-Rente (Rürup-Rente)

Diese bieten die höchste Gewähr, unterhaltsrechtlich als Altersvorsorge anerkannt zu werden.

Anlagen mit mittlerem Risiko (Anerkennung unter Umständen möglich, aber mit Dokumentationspflicht):

Hierzu gehören unter bestimmten Voraussetzungen:

  • Investmentfonds können weiterhin anerkannt werden, allerdings nur unter strengeren Voraussetzungen (explizite Führung des Depots mit Anlageziel "Altersvorsorge", eingeschränkte frühzeitige Verfügungsmöglichkeit)
  • Tilgungsleistungen zur Hausfinanzierung werden grundsätzlich anerkannt, allerdings ist die Dokumentation des Altersvorsorgecharakters wichtig
  • Bausparverträge und Lebensversicherungen sind anerkannt, sollten allerdings eindeutig auf die Altersversorgung ausgerichtet sein

Bei diesen Anlageformen ist der Nachweis der Zweckbindung und des Charakters als echte Altersvorsorge entscheidend.

Anlagen mit hohem Risiko (Anerkennung sehr unwahrscheinlich):

Besonders kritisch werden nun bewertet:

  • Tagesgeldkonten und Sparbücher – weitgehende Ablehnung wegen jederzeitiger Verfügbarkeit
  • Sparguthaben ohne erkennbare Zweckbindung
  • Einzahlungen, die erst nach der Trennung aufgenommen werden, sind besonders problematisch

Das OLG München hat explizit darauf hingewiesen, dass eine Überweisung auf ein Tagesgeldkonto, die erst nach der Trennung erfolgte, keine Berücksichtigung als sekundäre Altersvorsorge finden könne.

3. Folgen für die Beratungspraxis und anwaltliche Empfehlung

Der Hinweisbeschluss des OLG München schafft eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die unterhaltsrechtliche Beratung und die Praxis der Einkommensbereinigung. Während der BGH Sparguthaben im Einzelfall als Altersvorsorge anerkennen wollte, scheint das OLG München hier eine strengere Linie zu verfolgen, die sich an der "Unverfügbarkeit" der Mittel orientiert.

Als Ihr Anwalt bin ich haftungsrechtlich verpflichtet, Ihnen den rechtssichersten Weg zu empfehlen. Angesichts dieser Entwicklungen rate ich daher grundsätzlich dazu, sich bei der Gestaltung der privaten Altersvorsorge, die unterhaltsrechtlich abzugsfähig sein soll, für Anlageformen zu entscheiden, die als Anrechte im Versorgungsausgleich ausgeglichen werden. Diese Anrechte sind vom Gesetzgeber als echte Altersvorsorge anerkannt und bieten somit die höchste Gewähr dafür, auch im Unterhaltsrecht als solche anerkannt zu werden.

Praktische Auswirkungen: Die Wahl einer nicht anerkannten Anlageform kann erhebliche finanzielle Konsequenzen haben. Im ungünstigsten Fall würde das Familiengericht die entsprechenden Aufwendungen nicht vom unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen abziehen, wodurch sich die Unterhaltsverpflichtung entsprechend erhöhen würde.

IV. Fazit und Ausblick

Der Hinweisbeschluss des OLG München vom 08.10.2024 – 16 UF 324/24 e signalisiert eine potenziell strengere Auslegung der Anforderungen an die private Altersvorsorge im Unterhaltsrecht.

Die Rechtsprechung könnte zukünftig dazu tendieren, strengere Anforderungen an die private Altersvorsorge im Unterhaltsrecht zu stellen. Diese Entwicklung zielt darauf ab, dem in einigen Fällen erfolgten Missbrauch von behaupteter Altersvorsorge entgegenzuwirken, die rein aus unterhaltsrechtlicher Motivation für kurze Zeit betrieben und anschließend wieder eingestellt wurde.

Erwartete Rechtsentwicklung: Es ist absehbar, dass der BGH sich zeitnah mit dieser Rechtsfrage beschäftigen muss, da der Hinweisbeschluss im Widerspruch zur bisherigen liberalen BGH-Rechtsprechung steht. Bis dahin herrscht Rechtsunsicherheit, die besondere Vorsicht bei der Gestaltung der privaten Altersvorsorge erfordert.

Es ist dabei entscheidend, das Gericht vom tatsächlichen Vorsorgecharakter der gewählten Anlageform zu überzeugen. Dies fällt bei klassischen Altersvorsorgeprodukten, wie Rentenversicherungen oder Riester-Verträgen, in der Regel leicht. Mandanten, die sich für Anlageformen entscheiden, die ihnen jederzeit zur freien Verfügung stehen, müssen zukünftig das Gericht überzeugen, dass es sich bei dem „Wegsparen" nicht um Vermögensbildung, sondern tatsächlich um Altersvorsorge handelt. Bei Sparraten, die erst nach der Trennung aufgenommen werden, wird dies hingegen sehr schwerfallen.

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